Foucaults Machttheorie und der Film „Das Experiment“ – 1/2

Es wird etwas wissenschaftlich auf Couch-Entertainment. Der folgende Text basiert auf einem wissenschaftlichen Essay aus meinem Soziologie-Studium und wird hier in gekürzter und leicht überarbeiteten Form wiedergegeben. Es behandelt die Macht-Theorie des französischen Philosophen, Psychologen, Historiker und Soziologen Michel Foucault, angewandt auf Hirschbiegels Film „Das Experiment“ von 2001 und der heutigen Überwachungs-Gesellschaft.

Im ersten Teil wird der historische Wandel der Bestrafung behandelt und einer neue Machtausübung. Es folgen die drei Prinzipien der Inhaftierung im modernen Gefängnis.

Wandlung der Macht mit der Aufklärung

Vor dem 18. Jahrhundert wurde mit Straftaten und vor allem den Täter anders verfahren, wie man das heute kennt. Öffentliche Peinigung und Hinrichtungen waren damals an der Tagesordnung. Mit der Aufklärung kam jedoch ein anderes Denken auf. Das Individuum wurde geboren. Im Laufe des 18. Jahrhunderts ging man langsam dazu über Straftaten anders zu werten. Nicht allein die Wahrheit einer Tat war wichtig, sondern vor allem die Beweggründe des Täters. Die Bürokratie hielt Einzug in das Strafsystem und die Justiz verurteilte nur noch. Die Vollstreckung der Strafe wurde nur noch in Gefängnissen vollzogen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Körper des Verurteilten, oder „Delinquenten“ wurde nicht mehr mit Gewalt und Pein bestraft. Foucault nennt die Seele des Täters nun das Ziel der Strafe. Der Kriminelle wurde der Freiheit beraubt und zur Zwangsarbeit gezwungen. Die ganze Prozedur soll zu einem Umdenken führen, wodurch der Delinquent resozialisieren werden soll. Diese neue Strafgewalt wurde in der Gesellschaft verankert, wobei auch die Industrialisierung bis heute viele neue Arten von Kriminalität hervorrief, die anders bewertet werden mussten und individuelle Beweggründe haben konnte.  Diese neue Form von Macht war nun auf die Gelehrigkeit des Menschen ausgerichtet. Der Gefangene wurde nicht mehr mit Gewalt bestraft oder sogar getötet, um ihn so zum Umdenken zu erziehen. Diese Ausdehnung des Machtbereichs auf die Mikroebene bildete sich auch in anderen Gesellschaftsbereichen aus. Das Ziel war eine Disziplinargesellschaft. Foucault nennt als Beispiele Bereiche wie Spitäler, Schulen und das Militärwesen in denen dies angewandt wurde. In Schulen gab es Ranglisten, in denen die Leistungen der Schüler miteinander verglichen werden konnten. Im Militärwesen gab es eine Befehlshierarchie und die Soldaten wurden ähnlich wie Gefangene von der Gesellschaft isoliert um ihre Funktion besser aus zu führen. Selbst in der Politik wurde die neue Macht zur Disziplinierung benutzt. Die Polizei konnte so jederzeit in der Gesellschaft eingreifen und die Ordnung (wieder)herstellen. Gerade der große Anstieg der Bevölkerungszahl brauchte eine neue Art der leistungsfähigen Strukturierung, um die Menschenmassen zu ordnen und zu disziplinieren.
Foucault war vor allem die Architektur wichtig, mit deren Hilfe das neue Machtverhältnis nun auch geschaffen werden konnte. Klöster waren hier das Vorbild für den Bau der ersten Fabriken. Der Arbeiter konnte durch parzellenartige Anordnung der Arbeitsplätze optimal überwacht werden und so zur Arbeit „gezwungen“ werden.

Haft

Das Gefängnis wurde als neue Institution geboren. Foucault nennt drei Prinzipien, welcher sie sich bedient:

1. Isolierung
Der Straftäter wurde durch seiner Inhaftierung vom Rest der Gesellschaft abgeschottet. Die Strafe wurde auf den Einzelnen zugeschnitten, da es nun ein Strafmaß gab und je nach Schwere der Tat eine unterschiedliche Dauer der Haft bestimmt wurde. Innerhalb der Institution war der Gefangene auch von anderen Insassen durch Zellen und Regeln getrennt. Dies sollte den Solidarisierungseffekt untereinander vermeiden. Der Gefangene sollte auch zur Selbstreflexion gezwungen werden, damit er ein Gewissen entwickeln konnte. Diese Techniken führten zur totalen Unterwerfung des Gefangenen.

2. Arbeit
Arbeit soll zur einer Veränderung des Verhaltens führen. So sollte der Delinquent vom Faulenzen abgehalten werden und als zusätzliche Strafe zur Unterwerfung dienen. Arbeit war auch ein Mittel, um Unruhen und Aufstände zu vermeiden, da durch Beschäftigung auch die Zeit zur Planung eines solchen genommen wird. Durch die geregelten Abläufe im Leben des Gefangenen konnten die Aufseher die Insassen besser überwachen.

3. Flexible Strafbemessung
Das Urteil bei guter Führung des Gefangenen kann so revidiert werden. Ein Straferlass sollte zur Besserung anspornen. Aber auch eine Verlängerung konnte, bei schlechtem Benehmen, somit zustande kommen.

Das Panoptikum der Macht

Als Vorbild des Panoptikums dienten, laut Foucault, die Maßnahmen im 17. Jahrhundert im Falle der Pest. Ein Überwachungssystem wurde geschaffen, um Gesunde von Infizierten zu trennen. So sollte eine unkontrollierte Ausbreitung der Krankheit vermieden werden. Die Bevölkerung wurde dadurch diszipliniert. Ähnliches vorgegangen wurde auch bei Lepra-Fällen. Erkranke wurde weit außerhalb von Dörfern und Städten behandelt.
Das Panoptikum ist die Verschmelzung von beiden Techniken. Der Jurist, Philosoph und Sozialreformer Jeremy Bentham entwarf zum ersten Mal den Entwurf für solch ein Panoptikum. Es war ein Gefängnis, bei dem in der Mitte ein großer Überwachungsturm stand, der von den Gefängniszellen umgeben wurde. Diese Architektur ermöglichte es den Wärtern die Gefangen vom Turm aus jederzeit beobachten zu können. Die Zellen waren zum Turm hin einsehbar. Die Gefangen jedoch konnten nicht sehen, ob sie vom Turm aus beobachtet werden. Das Subjekt wurde zum Objekt der Beobachtung und konnte so keine unbemerkte Interaktion mit Mitgefangenen führen. Dieses Bewusstsein der ständigen Beobachtung sollte Meutereien unterdrücken und zur Disziplin aufrufen.
So ist das Panoptikum zur universellen Maschine der Macht geworden. Es war möglich ein Machtverhältnis zu schaffen und dieses aufrecht zu erhalten, ohne das ständig ein Beobachter anwesend sein musste. Die Macht wurde automatisiert und entindividualisiert. Sie wurde omnipräsent. Gewalt konnte so als Mittel der Disziplinierung ersetzt werden.
Das Panoptikum konnte aber für mehr Funktionen eingesetzt werden, als nur Gefangenendisziplinierung. Das Personal konnte genauso beobachtet werden, ohne deren Wissen. Auch war es in der Forschung einsetzbar. Die Macht konnte von Wenigen auf Viele ausgeübt werden.

Weiter mit Teil 2…

Penetentiary Panopticon Plan

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