Warum wir mehr Zombie-Szenarien brauchen

Der zweite Text zum Zombie-Doublefeature von Daniel und Stefan. Diesmal erklärt Stefan, warum wir mehr Zombies brauchen.

Zombies, Untote, Infizierte oder wie sie auch immer genannt werden, sind derzeit hoch im Kurs um einen Film, Games oder Buch mit einem beklemmenden Szenario zu versorgen. Ich persönlich kann davon noch lange nicht genug bekommen, anders als viele, denen die Untoten-Seuche langsam zu viel wird. Doch Zombies sind wichtig, denn kaum ein Szenario ist näher an der Realität als die Toten, die zurückkehren.

Kapitalisten-Zombies

Es gibt viele Deutungsansätze, die sich auf fast alle Medien mit Untoten darin anwenden lassen. Eine der Interpretation ist diese, dass eine Zombie-Epidemie für den Kapitalismus steht, der alles um ihn herum verschlingen möchte. Wird Mensch einmal gebissen, war es das. Seien wir mal ehrlich, wir genießen doch unseren materiellen Reichtum um uns herum, wie haben gern noch etwas Geld auf dem Konto, um noch mehr zu konsumieren, Bücher, Filme, Spiele oder Ähnliches zu kaufen. Klar, vielen behagt es nicht, aber drauf verzichten wollen die wenigsten. Wenn wir Menschen beim TV-Gucken zu sehen, wenn sie gerade eine anspruchslose Sendung sehen, wirken doch auch oft wie Untote, die vom TV-Gerät magisch in den Bann gezogen werden, wie Infizierte, denen per Werbung suggeriert mehr zu wollen von der „Seuche“. Die Apokalypse ist auch in der realen Welt nicht aufzuhalten, wie wir nach der Finanzkrise gesehen haben. Alles, besonders das Geld und Kapital, läuft weiter seinen Weg und die Regierungen der Welt tun immer noch alles den Kapitalismus zu schützen und zu erhalten, aber die Kontrolle darüber haben sie längst verloren. Menschen sind auf der Flucht und drängen in Massen in andere Gebiete.

Überlebende, die Hauptdarsteller in einem Zombie-Szenario, könnte man so als die letzten Vertreter sehen, die das System bis zum Letzten verteidigen. Sie kämpfen mit allem, was ihnen übrig blieb, ständig auf der Suche nach Nahrung und Schutz. Die Gewalt gegen die Zombies steht dabei für die Verrohung und Abstumpfung, die Gleichgültigkeit der westlichen Welt gegenüber dem Elend auf der Welt. Und auch für die Gegensätze innerhalb der Gesellschaft, Rassismus und Folter. Auch bekämpfen sich die „Menschen“ oftmals erbittert untereinander.

Unterschicht vs. Oberschicht

Ein anderer Ansatz wäre, dass eine Zombie-Apokalypse für den massenhaften sozialen Abstieg steht. Die berühmte Schere zwischen Arm und Reich wird überall auf der Welt größer und die Mittelschicht wird immer kleiner. Es ist nachzuvollziehen, die gesellschaftliche Angst der Mittelschichtler sozial abzusteigen, sei es durch Verlust der Arbeit oder eben die allgegenwärtige Finanzkrise mit all ihren Facetten. Und genau diese Angst lässt sich wieder auf das Szenario einer Untoten-Invasion anwenden. Zombies symbolisieren die Unterschicht und all die Folgen für die Mittelschicht. Die Überlebenden hierbei sind die letzten Mittelschichtler bzw. auch die reichere Oberschicht, die um ihren Status kämpfen.

So zeigen uns Zombie-Szenarien immer wieder, wie es um den Menschen und die Gesellschaft steht, im überspitzten Sinne natürlich. Es gibt in der Comic-Reihe „The Walking Dead“ von Robert Kirkman eine Szene im 4. Sammelband „The Hearts desire“, in der Rick eine fatalistische Rede hält. Kurz zum Hintergrund: Die Gruppe der Überlebenden haben sich in einem Gefängnis häuslich eingerichtet, doch es scheint selbst „hinter Gittern“ keine Sicherheit zu geben. Rick kommt zu einer Erkenntnis:

TWD

The Walking Dead Vol. 4 – „The Hearts desires“ von Image Comics

Lebende vs. Lebende

Jedoch mit der Gesellschaftskritik der Zombies nicht genug. In fast jedem Szenario kämpft Mensch nicht nur gegen die Untoten. Er kämpft ums Überleben und die Fiktionen zeigt oft, wie weit ein Mensch gehen würde, um das zu erreichen. Oftmals reichen niedrige Beweggründe, um nicht nur gegen die Untoten loszuschlagen, sondern gegen seine eigenen Mitstreiter. Und da haben wir es wieder: Mensch gegen Mensch, wieder Parallelen zur realen Welt, in der 2015, 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, es keinen einzigen Tag gab, an dem nicht irgendwo auf der Welt Krieg herrschen würde, Mensch gegen Mensch, oft eben wegen Nichtigkeiten. Der Kampf unter den Lebenden passt auch wieder perfekt in die Deutung der sozialen Schichten, denn man kann diesen als Kampf zwischen Unter- und Oberschichtten deuten, wie oben schon erwähnt.

Die gesellschaftliche Angst vor dem Tod

Genauso spielt das Zombie-Szenario mit einer tief sitzenden menschlichen Angst vor dem Tod an sich. Schlimm genug, wenn jemand Geliebtes stirbt, auch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod zu Lebzeiten nehmen manchmal komische Auswüchse an, sei es nur das Christentum, das eine spezielle Vorstellung haben vom „Leben“ nach dem Tod.

Mediale Beispiele im Film

Somit sehe ich das Zombie-Szenario in den Medien als gute Art und Weise uns in abstrakter Weise die real existierenden Missstände vor Augen zu führen, zumindest für die, die „zwischen den Zeilen“ lesen können, denn das dieses Szenario ist wie geschaffen dafür. Besonders zu erwähnen sind hier wohl die Filme vom Regisseur George A. Romero. „Dawn of the Dead“ spielt sogar in einer großen, amerikanischen Shopping-Mal, sozusagen einem Konsumtempel. Hier kann man schön interpretieren, dass die Überlebenden diesmal die „Kapitalisten“ sind, die in symbolischer Kulisse das Letzte übrig gebliebene des Kapitalismus bis auf den Tod verteidigen wollen. Vielleicht sogar die projizierte Angst der Mittel- und Oberschicht vor einem sozialen Abstieg?

In seinem Film „Land of the Dead“ zeigen sich sogar Ansätze einer Revolution, denn die Zombies entwickeln eine Art Bewusstsein und attackieren die gut verschanzten „Kapitalisten“. Nicht zu vergessen seinen ersten Spielfilm „Night of the Living Dead“, indem nicht nur ein Farbiger der Held des Films ist, was damals schon noch provozierend war, sondern, das Ende zeigt, dass es doch wieder Menschen sind, die sich wirklich untereinander bekämpfen.

Doch nicht nur Gesellschaftskritik bekommen wir durch die Untoten. Das Genre ist offen für allerlei Geschichten, die erzählt werden können. Das Zwischenmenschliche wird auch sehr oft thematisiert, mal abgesehen von den Gräultaten, zu den Mensch fähig ist, real wie in der Fiktion. Es wurden uns in den letzten Jahren auch großartige, emotionale Geschichten erzählt, die dank dem Zombie-Szenario erst so richtig packend waren. Der Indie-Film „The Battery“ lässt uns tief in die Psyche zweier Menschen blicken, die durch die Epidemie gezwungenermaßen auf engstem Raum zusammen (über)leben müssen. So manch einer, ich zum Beispiel, wird sich da selbst wieder finden.

… im Buch

Der Roman „Zone One“ von Colson Whitehead, in dem wir einen Protagonisten mit allerlei Rückblicken durch die Wirren einer Zombie-Apokalypse folgen, lehrt uns vor allem, dass es erst der Katastrophe bedurfte und klar zu machen, dass wir alle gleich sind, egal welche Hautfarbe, Religion oder Herkunft.

… in Videospielen

Bei Videospielen wird ja immer wieder beklagt, dass die Entwicklung von neuen, innovativen und tiefgründigen stagniert. Und genau hier hat ein Zombie-Spiel erfreulich frischen Wind in die Branche gebracht. Das Episoden-Adventure „The Walking Dead“ von Telltale Games zeigte, wie Storytelling funktionieren kann und wie selbst den härtesten Spielern am Schluss Tränen in den Augen standen aufgrund der tragischen Geschehnisse im Spiel und der wirklich gut funktionierenden emotionalen Bindung der Spieler zu den Protagonisten.

Das Ganze wurde konsequenterweise auch in ein Vollpreis-Titel übertragen und The Last of Us zeigte auf der PS3 und PS4, wie emotionale Geschichten auch in Videogames funktionieren können. Und das Ganze dank einem Zombie-Szenario.

Und darum sind Zombie-Szenarien wichtig

Ich dachte auch schon lange, dass aus Zombies nichts mehr Bemerkenswertes herausgepresst werden kann, besonders im Hinblick, dass in der „Flut“ an Zombie-Szenarien auch viele hirnrissige, schlechte und langweilige Dinge mit auf den Markt geschwemmt wurden. Doch ich werde nach wie vor immer wieder überrascht, was da noch alles an Potenzial drin steckt. Die im Text genannten Beispiele waren fast ausschließlich welche, die bahnbrechend waren und neuen Wind in diverse Formate und Medien gebracht haben. Und genau deswegen werde ich der Zombie-Apokalypse nicht leid, denn sie sind Setting für geniale Geschichten, aussagekräftiger Kritik und immer wieder ein Blick in die Psyche des Menschen. Und genau deswegen brauchen wir in Zukunft mehr von den Untoten! Man muss sich allerdings die Perlen schon raus picken aus der Schwemme an Filmen, Spielen und anders erzählten Geschichten. Fast wie Überlebende in eine Zombie-Apokalypse.

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